„Natur“

„Die Natur ist innen.”

(Paul Cezanne)

 

„NATUR“

Das Wort Natur, in Latein natura, stammt von nasci und bedeutet geboren werden oder entstehen.

Natur wäre demnach etwas, das aus sich heraus existiert beziehungsweise entsteht“ schreibt der deutsche Erziehungswissenschafter Ulrich Gebhard (Gebhard 2013, S. 42) in dem von ihm herausgegebenen Standardwerk „Kind und Natur. Die Bedeutung der Natur für die psychische Gesundheit“.

Mit Natur wird auch das griechische Wort physis übersetzt, welches für das Werden und Wachsen eines Dinges, aber auch das Wesen der Dinge (Meske 2011, S. 28) steht.

Bei „Natur“ handelt es sich nur scheinbar um einen eindeutigen Begriff, der jedoch „kaum mit eindeutigem Inhalt zu füllen“ (Gebhard 2013, S. 42) ist.

Der deutsche Philosoph Friedrich Wilhelm Joseph Schelling (1775-1854) unterschied zwischen

  • Natur als Produkt / Objekt (natura naturata) und
  • Natur als Produktivität / Subjekt (natura naturans)

 

DIE NATUR, DIE WIR SELBST SIND

Für Ernst Oldemeyer kann Natur immer nur als „etwas von Menschen jeweils in bestimmter Weise Erfahrenes“ (Oldemeyer 1983, S. 19 übernommen aus Gebhard 2013, S. 41) verstanden werden.

Und für den deutschen Philosophen Gernot Böhme ist der Mensch als leibhaftiges Wesen selbst Teil der Natur. Leib definiert er als die Natur, die wir selbst sind“.

Pflanzen, Tiere, Wälder, Wiesen, Brachflächen, Berge, Bäche, Flüsse, Seen, Meere, Wüsten – das alles sind Naturphänomene, als solche aber nicht „reine Natur“, weil der Mensch als Natur- und Kulturwesen die Natur kultiviert „und in diesem Prozess verschwimmt die Trennlinie zwischen Kultur und Natur.“ (Gebhard 2013, S. 48)

 

NATURKONZEPT & INTERPRETATION

Klaus Feldmann unterschied 1990 in seinem Modell der Naturkonzeptionen je nach kulturellem Subsystem (Politik, Ökonomie, Technologie, Wissenschaft, Bildung, Kunst, Religion) eine entsprechende Orientierung, die den jeweiligen Naturbegriff beeinflusst.

Gebauer und Harada 2005 untersuchten in einer kulturvergleichenden Studie, wie unterschiedlich Naturkonzepte von Grundschulkindern in Japan und Deutschland sind.

Während die Kinder aus Japan „aufgrund kultureller und religiöser Sinnstiftung kohärentere Naturkonzepte“ (Gebauer & Harada 2005, S. 58 übernommen aus Meske 2011, S. 80) aufwiesen, fehlte den Kindern aus Deutschland „diese Verehrung und Verbundenheit mit der Natur.“ (Meske 2011, S. 80). Ihnen fehlte ein ähnlich sinnstiftender Kontext. Ihre Naturkonzepte waren „polarisiert, widersprüchlich und exklusiv“ (Gebauer & Harada 2005, S. 58 übernommen aus Meske 2011, S. 80).

Ergebnis der Studie war, dass „Kinder Naturerfahrungen auf dem Hintergrund bereits vorhandener Konzepte interpretieren und bewerten, wobei affektiv-emotionale Zugänge eine wichtige Rolle spielen“ (ebd.).

 

ÄSTHETIK & NATUR ALS SYMBOL

Naturerfahrungen haben immer auch eine symbolisch-ästhetische Dimension.

Ästhetik, in Griechisch aísthēsis, bedeutet Wahrnehmung und Empfindung. Seit jeher dient die Natur dem Menschen, den Ernst Cassirer (1874-1945) auch als ein animal symbolicum bezeichnet, als Symbol.

Nach Cassirer sind alle Formen menschlicher Weltwahrnehmung Akte symbolischer Sinngebung:

„Der Mensch (…) lebt nicht mehr in einem bloß physikalischen, sondern in einem symbolischen Universum“ (Cassirer 1996, S. 49f. übernommen aus Gebhard 2013, S. 29).

Gebhard ortet in der Widersprüchlichkeit der Natur eine besondere Anziehungskraft auf den Menschen:

Die Natur gerade in ihren widersprüchlichen, ambivalenten Eigenschaften ist so vielleicht für die nie von Ambivalenzen freie menschliche Seele ein Ort, wo die inneren Ambivalenzen ihr bedrohliches oder auch krankmachendes Potenzial verlieren können. Indem die Natur sozusagen mit größter Selbstverständlichkeit Widersprüchliches, Ambivalentes, Spannungsreiches sowohl ist als auch symbolisch repräsentiert, kann sie zum symbolischen Hoffnungsträger dafür werden, dass sich Widersprüchliches, auch innerseelische Widersprüche, dialektisch „aufheben“ lassen.“ (Gebhard 1993, S. 44 übernommen aus Meske 2011, S. 47)

Für Böhme erhebt die ästhetische Naturbeziehung

keinen Anspruch auf Erkenntnis, jedenfalls nicht den Anpruch auf Erkenntnis ihres Objekts, der Natur. Sie ist, wo sie sich ästhetisch reflektiert, vielmehr Erkenntnis des Subjektes: seiner Harmonie, Erhabenheit, Einsamkeit, seiner Sehnsucht. Die beiden Hauptanliegen der Naturthematisierung stehen sich also wie Objekt und Subjekt, wie Natur an sich und Natur für uns, wie Erkenntnis und Gefühl, wie Wissenschaft und Kunst gegenüber. Eine ästhetische Theorie der Natur beansprucht offenbar von diesem Hintergrund her gesehen, eine Einheit von Kunst und Wissenschaft zu sein und die Natur an sich mit der Natur für uns in ein aufweisbares Verhältnis zu setzen.“ (Böhme 1992, S. 125 übernommen aus Gebhard 2013, S. 49)

 

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