Kind & Natur

„Die Natur entwickelt unsere Fähigkeiten und unsere Kräfte; die Menschen lehren uns den Gebrauch dieser Fähigkeiten und Kräfte. Die Dinge aber erziehen uns durch die Erfahrung, die wir mit ihnen machen, und durch die Anschauung.”

(Jean-Jacques Rousseau 1978, S. 10)

 

KIND & NATUR

Der Philosoph, Pädagoge und Naturforscher Jean-Jacques Rousseau (1712- 1778) betont in seinem erziehungsphilosophischen Werk “Emil oder Über die Erziehung”, dass der Mensch drei Erzieher braucht:

  • die Natur
  • die Menschen und
  • die Dinge

Dinge haben auch nach dem englischen Kinderarzt und Psychoanalytiker Donald Winnicot (1896-1971) als sogenannte Übergangsobjekte” eine besondere Bedeutung für das Kleinkind.

Nach Winnicot kann dieses “die Trennung zwischen Objektwelt und Selbst nur vollziehen, weil es zwischen beiden keinen leeren Raum gibt” (Winnicot 1971, S. 125 übernommen aus Gebhard 2013, S. 34). Diesen Raum nennt er den intermediären Raum, “weil in ihm Spiel, Illusion und Symbolisierungsprozesse stattfinden können.” (ebd.)

Winnicot war der Ansicht, “daß kein Mensch frei von dem Druck ist, innere und äußere Realität miteinander in Beziehung setzen zu müssen, und daß die Befreiung von diesem Druck nur durch einen nicht in Frage gestellten intermediären Erfahrungsbereich (in Kunst, Religion usw.) geboten wird” (Winnicot 1951, S. 24 übernommen aus Gebhard 2013, S. 35).

 

UMWELTPSYCHOLOGIE (environmental psychology)

Diese Sichtweise entspricht dem dreidimensionalen Modell der Umweltpsychologie, welches das traditionelle zweidimensionale Persönlichkeitsmodell, nach dem die psychische Entwicklung des Menschen v.a. von Art und Qualität der menschlichen Umwelt abhängt, um die nichtmenschliche Umwelt erweitert.

UnterUmwelt wird sowohl die Innenwelt als auch die Außenwelt sowie deren wechselseitige planmäßige Anpassung aneinander verstanden.

Dieser Umweltbegriff geht auf den estnischen Biologen und Philosophen Jakob Johann von Uexküll (1864-1944) zurück, der diesen in die psychologische Wissenschaft eingeführt hat.

Ulrich Gebhard greift dieses Modell in dem von ihm herausgegebenen Standardwerk „Kind und Natur. Die Bedeutung der Natur für die psychische Gesundheit auf.

Er hält für möglich, dass das Halten von Heimtieren, das Herumstreunen in wilder Natur und die Vorliebe für Pflanzen ebenfalls mit der Theorie der Übergangsobjekte gedeutet werden können, zumal “die Beschäftigung mit verschiedenen Naturphänomenen durchaus die tröstende und haltende Funktion hat, wie sie Winnicot für die Übergangsobjekte beschrieben hat.” (Gebhard 2013, S. 34)

 

NATURERLEBNISSE ALS PRIMÄRERFAHRUNGEN 

In „The Ecology of Imagination in Childhood“ stellt Edith Cobb (1959) nach Analysieren von 300 Autobiografien sogenannter “creative thinkers” fest, dass sie alle eine besondere Naturnähe in der mittleren Kindheit auszeichnete. Für Cobb entsteht in dieser Phase der Kindheit Bewusstsein und Sinn für die ”dynamische Beziehung mit der äußeren Welt” (Cobb 1959, S. 542 übernommen aus Gebhard 2013, S. 82), was zu einer lebenslangen Quelle kreativer Prozesse werden könne.

Yarrow et al. 1975 suchten Antworten auf die Frage, mit welchen Dingen aus der physischen Umwelt sich Kleinkinder umgeben. Es sind Gegenstände, die erkennbar reagieren (responsiveness), komplex sind (complexity) und eine hohe Vielseitigkeit (variety) aufweisen (Yarrow et al. 1975, S. 40f und 95f), was insb. auf Naturphänomene zutrifft (vgl. Gebhard 2013, S. 81).

H.G. Jaedicke 1979 bezeichnet Naturerlebnisse in der Kindheit als Primärerfahrungen (vgl. Gebhard 2013, S. 82).

Roger Hart 1982 geht von einer sehr innigen Beziehung von Kindern zur Natur aus, was er mit einem besonders offenen Bewusstseinszustand bei Kindern (open-mindedness) begründet, der mit Kreativität und Sensibilität einhergeht (vgl. Gebhard 2013, S. 79).

In “Biophilia: The human bond with other species” stellt der amerikanische Biologe Edward O. Wilson 1984, die These auf, dass ein angeborenes emotionales Zusammengehörigkeitsgefühl zwischen lebenden Organismen besteht. Biophilie definiert er als „the innate tendency to focus on life and lifelike processes“ (Wilson 1984, S. 1), was er mit Stephen Kellert 1993 in “The Biophilia Hypothesis“ näher ausführt.

 

SPIELVERHALTEN IN GRÜNEN SETTINGS

Faber Taylor et al. 1998 beobachten das Spielverhalten von 262 Kindern in städtischen sozialen Wohnbauten. In Gegenden mit „high vegetationspielen diese mehr (more play), kreativer (more creative play) und weniger allein (more access to adults in high-vegetation spaces).

Faber Taylor et al. 2001 stellen fest: Aufenthalte in green settings vermindern Symptome von Kindern mit chronischen Aufmerksamkeitsstörungen, verbessern Konzentration (Faber Taylor & Kuo 2009) und Selbstdisziplin (Faber Taylor et al. 2002).

 

Studien & Literatur zum Thema gibt es hier (Studien & Literatur)